Psychotherapie als Herausforderung

 

 

Das kranke Ich verspricht uns vollste Aufrichtigkeit, d.h. die Verfügung über allen Stoff, den ihm seine Selbstwahrnehmung liefert, wir sichern ihm strengste Diskretion zu und stellen unsere Erfahrung in der Deutung des vom Unbewussten beeinflussten Materials in seinen Dienst.

(Freud, 1938)

Psychotherapie ist in unserer Sicht eine spezifische zwischenmenschliche Praxis, die auf der Grundlage einer “reflektierten Intersubjektivität” (Zwiebel 2003) ein methodologisches Verstehen und Bearbeiten der seelischen Erkrankung ermöglicht. Psychotherapie kann nicht auf die Anwendung von Techniken oder standardisierter Methoden reduziert werden. Sie ist ein Prozess, der Zeit braucht, Zeit für Verstehen und eine nachhaltige Behandlung.
Gegenüber einem verobjektivierenden Verständnis von Krankheit betont psychodynamisches Denken den subjektiven Sinn der seelischen Erkrankung. Wir behandeln keine isolierten Störungen, sondern Menschen und Patienten, die Hilfe in einer existentiellen Lebenskrise suchen. Wir versuchen nicht die „Störung zu reparieren“, sondern mit dem Patienten die “Störung” vor dem Hintergrund der individuellen biologischen, psychologischen, sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontexte, mithin in den jeweiligen Lebensbezügen, tiefgreifend zu verstehen, sodass der Patient andere Lösungen für seine Probleme und Konflikte findet.

“Psychotherapie bedeutet Sinn”, dessen Suche verweist in diesem Zusammenhang auf die vielleicht grundlegendste Haltung innerhalb eines psychoanalytischen Verständnisses von seelischer Erkrankung: wie ich-fremd, unverständlich oder auch “verrückt” – Leiden verursachend eine Symptomatik auch sein mag. Sie ist seelisch auch immer ein Bewältigungsversuch – dessen Sinn wir auf die Spur kommen können, um damit neue Räume zu eröffnen. Dies impliziert aus unserer Sicht eine humanistische Haltung der gegenseitigen Anerkennung – an Stelle von Ausgrenzung und Stigmatisierung.

Wesentliche Agens sind das Gespräch und die therapeutische Beziehung. Ein gutes therapeutisches Arbeitsbündnis ist die Grundvoraussetzung für eine gelingende Psychotherapie. In der therapeutischen Beziehung bilden sich die zentralen Probleme und Konflikte ab, in Übertragung und Gegenübertragung. Durch die Bearbeitung der jeweiligen, oft zunächst unbewussten Hintergründe und Zusammenhänge können die Bedingungen geschaffen werden, die neue Erfahrungen, Veränderung und Entwicklung begünstigen.

Dabei sind auch wir als Psychotherapeut*innen herausgefordert: die Leiden der Patient*innen und die therapeutische Begegnung, Bearbeitung innerhalb der psychotherapeutischen Beziehung stellen Anforderungen, für die wir eine gute Ausbildung, eine Verankerung in Theorie, Selbsterfahrung, Supervision und Austausch mit Kolleg*innen brauchen, um diesen Stand zu halten. Oder – um es mit Benedetti zu sagen: “Die ‘Todeslandschaften der Seele’ sind im Grunde im Ansatz auch die unseren und die eigene Bewältigung der Existenz ist unsere Hoffnung für die Geisteskranken.” (Benedetti, 1991)

Psychodynamische Psychotherapie bedeutet:

  • den ganzen Menschen und nicht nur isolierte Störungen zu behandeln
  • nach der Geschichte, dem Sinn und der Bedeutung der Symptome zu fragen
  • die therapeutische Beziehung als zentralen Ort der Veränderung zu verstehen
  • in einem geschützten und zugleich für Erfahrung und Entwicklung offenen Raum seelische Veränderungsprozesse anzustoßen und begleiten zu können