Zukunft

 

Medien- und internetgestützte Angebote als Psychotherapie?

 

Die Diskussion, ob und inwieweit internetgestützte und/oder mobilisierte Interventionen (IMI, z.B. Gesundheits-Apps) die psychotherapeutische Versorgung sinnvoll ergänzen können, ist ein weiteres hoch brisantes Thema, zu dem die Psychodynamischen Listen sich kritisch positionieren:

  • Die IMI´s, die zur Prävention, Frühintervention, hausarztbegleitend oder zur Nachsorge bei Depressionen, Angststörungen und Abhängigkeitserkrankungen entwickelt worden sind, arbeiten mit Ansätzen aus der Verhaltenstherapie. Sie sind hinsichtlich Methode, Technik und berufsethischer Haltung nicht mit der Methode und Technik psychodynamischer Verfahren vereinbar.
  • Nur ein fundiert ausgebildeter Psychotherapeut kann im persönlichen Kontakt in der Erstdiagnostik den Befund erheben, Diagnose und einen Behandlungsplan erstellen. Die Verschreibung von digitalen Gesundheitsanwendungen durch Ärzte und Krankenkassen stellt aus unserer Sicht einen unzulässigen Eingriff in die fachliche Heilkunde dar.
  • Der persönliche Kontakt ist in der Patient-Therapeuten-Beziehung unerlässlich. Er stellt einen der maßgeblichen Wirkfaktoren dar. Auch die Kombination von face-to-face Kontakten mit IMI´s sehen wir kritisch: In der therapeutischen Beziehung können durch die Eröffnung dieser Nebenschauplätze unüberschaubare und nicht erforschte Komplikationen entstehen, die das Arbeitsbündnis und den therapeutischen Prozess negativ beeinflussen.
  • Es besteht die Gefahr, dass – ausgehend von Eigeninteressen der Krankenkassenverbände und Vertretern der Gesundheitspolitik – Studien zur Inanspruchnahme-Bereitschaft von E-Mental-Health-Anwendungen sowie Studien zur Akzeptanz von Psychotherapeuten bezüglich digitaler Anwendungen unreflektiert in der Öffentlichkeit als wissenschaftlich belegte Erkenntnisse über deren Wirksamkeit/Erfolg verbreitet, bzw. missverstanden werden. Es wird suggeriert, damit Versorgungslücken zu schließen und Kosten zu sparen. Wir sehen, dass diese Entwicklung auf Kosten und zu Lasten unserer Patienten gehen wird. Hinzu kommt, dass die Qualitätsanforderungen mit dem Nachweis der Wirksamkeit der Digitalen Programme und Gesundheits-Apps sehr niedrig sind, bzw. diese schon vor jedem Nachweis ihrer Qualitätssicherung eingesetzt werden dürfen.

Die PDL setzt sich auf allen Ebenen und in den Gremien der Berufspolitik aktiv dafür ein, dass die fachlichen Einwände gegen die medien- und internetgestützte Psychotherapie gehört sowie kritisch diskutiert und reflektiert werden. Der persönliche Kontakt in der therapeutischen Beziehung  zwischen Patient und Therapeut ist ein unverzichtbarer Bestandteil und Wirkfaktor in der Psychotherapie. Die Diagnosestellung, Indikation und Behandlung psychischer Störungen muss durch einen Psychotherapeuten im persönlichen Kontakt erfolgen und auch künftig gewährleistet sein. Dies umfasst ein individuelles, empathisches und situatives Eingehen auf den Patienten, seine emotionale innerpsychische Situation im Kontext seiner Lebenswelt. Dabei spielt die sich entfaltende Dynamik der Patient-Therapeuten-Beziehung sowohl in den diagnostischen Erstkontakten als auch im Behandlungsverlauf eine wesentliche Rolle.

Der gläserne Patient im Zeitalter der Digitalisierung

Der Paradigmenwechsel zu einem patientenzentrierten digital vernetzten Gesundheitswesen hat begonnen, Praxen, Krankenhäuser und Apotheken werden über eine Datenautobahn verbunden. Von „E-Health“, der Modernisierung der Kommunikationsstrukturen, erwartet man vor allem eine Verbesserung der Versorgung, mehr Wirtschaftlichkeit, Leistungstransparenz, valide gesundheitsstatistische Informationen, die Optimierung von Arbeitsprozessen und – langfristig – auch Kosteneinsparungen. Täglich werden Millionen Rezepte auf Papier ausgestellt und nachträglich elektronisch erfasst, Arztbriefe per Post verschickt, Röntgenbilder per Boten zugestellt. Werden diese Abläufe durch die digitale Vernetzung effizienter gestaltet, nutzt das Ärzten und Patienten. Mehr und bessere Daten seien darüber hinaus erforderlich für die effizientere Steuerung des Gesundheitssystems. Valide Daten zur Morbidität der Bevölkerung oder zur Wirksamkeit von Therapien könnten die Versorgung optimieren, das knappe Geld würde gerecht und zielgenau verteilt – so die Versprechen. Die  wirtschaftliche Bedeutung der Digitalisierung im  Gesundheitswesen wird häufig betont – die Interessen der Patienten stehen dabei  nicht unbedingt an erster Stelle, sondern die der Wirtschaft.

Eines der Schlüsselprojekte für die Modernisierung des Gesundheitswesens ist die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePa), die die Krankenkassen bis 2021 anbieten werden. Sie soll die auch mit dem Smartphone zugänglich sein. Die Akte soll als “Serverakte” angelegt werden, zwar verschlüsselt, aber zentral gespeichert in Rechenzentren der jeweiligen Anbieter. Von einer  dezentralen Speicherung der Daten -wie es im E-Health Vorreiterland Estland praktiziert wird – ist die Betreibergesellschaft Gematik abgekommen. Mit der ePA können Ärzte und Therapeuten Gesundheitsdaten zeitnah abrufen, sagen Befürworter, die Gegner fürchten den „gläsernen Patienten“. Mit dem Versprechen der „besseren Versorgung“ wird nun die „neue Gesundheitskarte“ verkauft der gläserne Patient beim gläsernen Arzt im total verwalteten Gesundheitssystem, auf Wunsch der Wirtschaft und der Politik.

Für Ärzte und Psychotherapeuten ist von dieser Neuerung kein wirtschaftlicher Gewinn zu erwarten. Neben dem erheblichen Investitionsbedarf ins IT-System steigt der nicht honorierte Arbeits- und Verwaltungsaufwand weiter an. Völlig unklar ist was geschieht, wenn Untersuchungen und Behandlungen unterbleiben oder erneut durchgeführt werden, weil der Karteneintrag oder das Untersuchungsergebnis falsch waren? Wie wird Datenschutz gewährleistet, wenn mehr als 110 000 Praxen Zugriff auf 60 Millionen Karten haben? Wer haftet für Datenpannen? Österreichische Ärzte beklagen die Gefahr, dass wichtige Informationen in der Datenfülle untergehen.

Ist “E-Health” ein Meilenstein der Digitalisierung und ein Segen für Patienten? Die Psychodynamischen Listen sehen diese Versprechungen differenzierter und überwiegend kritisch. Die glorreiche digitale Zukunft sieht so aus: Juli 2019 – Bei einem Hackerangriff auf die Klinikgruppe des Deutschen Roten Kreuzes Südwest werden alle Daten verschlüsselt, der Betrieb ist vorüber lahmgelegt. September 2019 – Nach einem Hackerangriff auf Arztpraxen sind Millionen sensibler Patientendaten auf ungesicherten Internetservern zugänglich. Cyberangriffe auf Patientendaten fanden in den vergangenen Jahren in den USA, in Norwegen oder Singapur statt, Sicherheitslücken finden sich auch in Apps. Im Dezember 2019 deckten IT-Experten Sicherheitslücken im Datennetzwerk Telematik für Arztpraxen und Krankenhäuser bei der Ausstellung von Heilberufe- und Praxisausweisen auf. Diese begannen schon beim Bestellprozess, ein Hacken der Verschlüsselung, von Computern war gar nicht nötig. Die Experten konnten sich alle drei Chipkarten, die einen Zugang ermöglichen und eigentlich sichern/beschränken sollen, (Arztausweis, Praxisausweis, elektronische Gesundheitskarte) per Post an eine Adresse ihrer Wahl zuschicken lassen – und damit die Unzuverlässigkeit des Identifikationsverfahrens nachweisen. Identitäten lassen sich stehlen. Sie konnten sich sogar einen Konnektor besorgen. Das Gesundheitsministerium hat daraufhin die Ausgabe vorübergehend gestoppt, sieht jedoch keinen Anlass, Zeitablauf und Pläne infrage zu Stellen.

Link: https://www.sueddeutsche.de/digital/gesundheitskarte-daten-sicherheit-1.4740095

“Datenschutz ist was für Gesunde” (Zitat Jens Spahn). Die Kranken aber werden durch diese technischen Neuerungen nicht gesünder. Inzwischen ist auch nicht mehr vorgesehen, dass der Patient Herr seiner Daten sein soll. In einem nächsten Schritt plant Jens Spahn die Plastikkarten durch Erfassung biometrischer Daten zu ersetzen. Am Beispiel China, das eine Biometrie- und DNA-Datenbank von Millionen Einwohnern aufgebaut hat, ist deutlich zu sehen, wohin derartige Datenzentralisierung führen kann.

Die Psychodynamischen Listen setzen sich auf allen Ebenen und in den Gremien der Berufspolitik aktiv dafür ein, dass die Interessen der Patienten, die Kontrolle über ihre eigenen Gesundheitsdaten zu behalten und die der Behandler bei dieser rasant vorangetriebene Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht ungehört bleiben.