Rahmenbedingungen

 
Der Rahmen als konstituierendes Element psychotherapeutischer Heilkunde

 

 

 

Die Gestaltung einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung, die maximale Offenheit vom Patienten verlangt in einer Situation der Hilfsbedürftigkeit, des Leidens, häufig einhergehend mit Angst, Gefühlen der Ohnmacht, der Scham, des Versagens und des Ausgeliefertseins an als „fremd“ erlebte Symptome, erfordert für beide – Therapeut und Patient – einen sicheren Rahmen. Dieser ermöglicht – Schutz und Halt gebend – ein Sich- Einlassen auf einen therapeutischen Prozess mit all´ seinen Herausforderungen und Unwägbarkeiten.

 


Zu diesem Rahmen gehören aus unserer Sicht:

  • Die Ausübung von psychotherapeutischer Heilkunde ist an die Anwendung wissenschaftlich anerkannter Verfahren gebunden.
    Diese ermöglichen als nicht nur äußerer Rahmen oder theoretischer Hintergrund, sondern auch als innerer/verinnerlichter Rahmen eine systematische Reflexion des Geschehens innerhalb der Therapie: Auf welchen Annahmen über psychische Entwicklung und deren Störungen basieren Diagnostik und daraus resultierende Interventionen? In einer hochgradig individuellen Dynamik der therapeutischen Begegnung bilden diese den Hintergrund zur Einschätzung des Prozessverlaufes – insbesondere in therapeutischen Krisen, aber nicht nur da. Die Psychodynamischen Listen wenden sich dezidiert gegen eine mechanische Anwendung modular vorgegebener störungsspezifischer Interventionen – die aus unserer Sicht weder der Komplexität psychischen Leidens, psychotherapeutischer Prozesse, noch der bisher hohen Qualität psychotherapeutischer Heilkunde gerecht werden. Aus diesem Grund setzen wir uns für einen Erhalt der wissenschaftlich anerkannten Verfahren sowohl in der gesetzlichen „Legaldefinition“ ein (definiert, was ist Psychotherapie), als auch für eine Lehre aller wissenschaftlich anerkannter Verfahren im Psychotherapiestudium durch qualifizierte Lehrende (d.h. mit jeweiliger Fachkunde).

Link: Leichsenring, Falk et.al (2019): Vom Sinn des Verfahrenskonzepts und der Verfahrensvielfalt – und warum das Baukasten-System nicht funktioniert. Z Psychosomat. Medizin & Psychotherapie, 65,4

Leichsenring – Sinn-Verfahrenskonzept PDF

  • Psychotherapie findet im persönlichen Kontakt statt
    Der zwischenleibliche face-to-face Kontakt ist ein zentrales Element der psychotherapeutischen Beziehung. Zunehmend politisch geförderte digitale „Fernbehandlungsangebote“ können diesen nicht ersetzen, nur unter Umständen ergänzen.
  • Abstinenz verstehen wir als ethischen, Grenzen setzenden Rahmen der Psychotherapie – ebenso als therapeutische Haltung. Als gemeinsame Orientierung von Therapeut und Patient stellt sie die Grundlage für den psychotherapeutischen Prozess und schützt diesen. Für den Patienten bedeutet dies, dass das Verstehen seiner Wünsche, Fantasien und Konflikte im Fokus steht – nicht deren Befriedigung, für den Therapeuten, dass dieser seine mit der therapeutischen Rolle verbundenen Macht nicht für die Befriedigung eigener aggressiver, narzisstischer, erotischer oder sonstiger Bedürfnisse missbrauchen darf. Entsprechende Grundregeln sind in die hessischen Berufsordnungen für Ärzte/ Psychologische Psychotherapeuten aufgenommen worden. Sie gelten jedoch nicht nur für Psychotherapien, sondern auch für Selbsterfahrung, insbesondere in der abhängigen Situation der Aus- und Weiterbildung. Hier – wie auch in der Psychotherapie – verbietet sich eine Vermischung mit gleichzeitig bestehenden privaten Beziehungen, wirtschaftlichen, dienstlichen oder sonstigen Abhängigkeitsverhältnissen. Aus diesem Grund hat sich die psychodynamische Liste in einem langen Diskussionsprozess innerhalb der LPPKJP erfolgreich für einen Schutz der Selbsterfahrung in der Ausbildung in der hessischen Berufsordnung eingesetzt. (HBO, § 29) Ebenso fordern wir dies für das Modul „Selbstreflexion“ im anvisierten Psychotherapiestudium. Hier muss ausgeschlossen werden, dass Selbsterfahrungsleiter z.B. gleichzeitig Prüfer im Studium sind.
  • Schweigepflicht und Datenschutz: Der Erfordernis der Offenheit auf Seiten des Patienten entspricht die absolute Notwendigkeit der (Zu-)Sicherung von Diskretion auf Seiten des Therapeuten. Mitglieder der Psychodynamischen Listen haben sich wiederholt auf unterschiedlichen Ebenen für diesen Schutz engagiert, der sowohl durch staatliche Eingriffe als auch durch digitale Innovationen in Frage gestellt wird.   So hat Jürgen Hardt, Mitbegründer der Psychodynamischen Liste und Gründungspräsident der LPPKJP gemeinsam mit anderen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Novellierung des BKA-Gesetzes eingereicht. Die Novellierung sollte, u.a. im Zusammenhang mit „Terrorismusverdacht“, das heimliche Ausspionieren Verdächtiger ermöglichen, damit aber auch einen Zugriff auf psychotherapeutische Gespräche. Erst die Beschwerde konnte erfolgreich die Notwendigkeit eines Schutzes des „Kernbereichs privater Lebensführung“, der in der Psychotherapie offen gelegt wird und damit betroffen ist, verdeutlichen. In seiner Entscheidung vom 20. April 2016 hat das Verfassungsgericht diese unsere Haltung zur Vertraulichkeit in der Psychotherapie gestärkt. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen birgt weiterhin aus unserer Sicht einen massiven Angriff auf den Persönlichkeitsschutz – bisher kann niemand einen sicheren Schutz derart sensibler Daten garantieren. -> siehe auch: „Der gläserne Patient“.   
  • Veränderungen der Psychotherapie-Richtlinien – „Versorgung“ versus Behandlung: Die Psychotherapie-Richtlinien bilden einen grundlegenden Rahmen für unsere Arbeit. Die derzeitige Welle von Veränderungen – Sprechstunden, zentrale Vermittlung durch Termin-Service-Stellen, Förderung von Gruppen-Psychotherapie, Förderung von Kurzzeit-Therapien, Einführung von Video-Sprechstunden, erweiterte Befugnisse für Psychologische Psychotherapeuten eröffnen einerseits neue Möglichkeiten. Sie scheinen uns jedoch vorrangig politisch angetrieben von wirtschaftlichen Erwägungen, einer möglichst „kostenneutralen Verbesserung der Versorgung“ – unter fehlender Berücksichtigung fachlich heilkundlicher Kriterien. „Versorgung“ geht dann auf Kosten von Behandlung, wenn exzessive Sprechstundenzeiten zwar für Patienten eine Verringerung der Wartezeit für erste Kontakte ermöglichen, gleichzeitig diese Zeiten jedoch für Behandlungsstunden verloren gehen. Der Patient bekommt vielleicht eine erste Orientierung; ohne verfügbaren Behandlungsplatz, wird er sich jedoch erneut auf die Suche begeben müssen und damit eine Odyssee fortsetzen, die vielen Therapie-Gesuchen schon voraus geht. Die zentrale Vermittlung von probatorischen Sitzungen ist in diesem Zusammenhang ebenso zweifelhaft. Fragen der Passung zwischen Patient und Therapeut, sowohl persönlich als auch hinsichtlich des Verfahrens, bleiben gänzlich unberücksichtigt. Das gilt auch für die Gruppen-Psychotherapie: Die Förderung ist grundsätzlich zu begrüßen. Es gibt jedoch klare fachlich-inhaltliche Kriterien der Indikation dafür. Sie kann nicht einfach ein Auffangbecken für Versorgungslücken sein – als solche missbraucht werden (nach dem Motto: weniger Therapeuten vorsorgen mehr Patient).
  • Das verabschiedete Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung beinhaltet ohne fachliche Rücksprache im „Omnibusverfahren“ aufgenommene gravierende Eingriffe in die ambulante Behandlung. Dazu gehört, dass für Gruppentherapien neben besserer Honorierung auf jede Qualitätssicherung im Rahmen von Indikationsstellung und Durchführung verzichtet wird. Zusätzlich sollen die ersten zehn Stunden einer Kurzzeittherapie mit einem Honoraraufschlag von 15% vergütet werden, verbunden mit der nicht belegten Unterstellung von „unnötig langen Therapiedauern“, denen damit entgegen gewirkt werden solle. Und: der G-BA wurde aufgefordert, neue Modelle der Qualitätssicherung zu erarbeiten, als Alternative zu dem dann entfallenden Gutachterverfahren. Diese Regelungen sind zum einen ethisch fragwürdig. Sie beinhalten die Aufforderung zu einer Bevorzugung kurzer Behandlungen, alternativ die Inkaufnahme finanzieller Einbußen bei Langzeit-Psychotherapien. Durch höhere Honorare werden Anreize geschaffen, möglichst viele Patienten möglichst kurz zu behandeln, was der offiziell geäußerten Intention widerspricht, die Versorgung von Patienten mit schweren, chronischen Erkrankungen zu verbessern. Die anvisierte Ablösung des Gutachterverfahrens schafft zum anderen parallel massive Unwägbarkeiten, hinsichtlich der zukünftigen Kontingente als Vorabwirtschaftlichkeitsprüfung. Damit droht jeder Langzeitbehandlung der sichere Rahmen entzogen zu werden, auf den sie basal angewiesen ist. Auch wenn das Gutachterverfahren mit Aufwand verbunden ist, so ist es doch ein Art der Qualitätssicherung, die methodisch am Gegenstand orientiert ist, und damit aus unserer Sicht sinnvoll als Methode der Prüfung, auch für den Behandler hilfreich zur Konzeptualisierung der Behandlung zu Beginn und im Verlauf. Wie zukünftige Qualitätskriterien aussehen können, ist völlig unklar.