Versorgung

VERSORGUNG

Die neue Bedarfsplanung weist für Hessen zwischen 10-20 neue Kassensitze aus, die ausschließlich in den seit langem bekannten unterversorgten, ländlichen Gebieten ausgeschrieben werden. Die Bedarfsplanungsrichtlinie nimmt den Versorgungsgrad einer Region als Kriterium, bildet aber nicht den tatsächlichen Bedarf ab. Oftmals weisen Ballungsgebiete darin einen Grad der Überversorgung aus, die Mitversorger-Effekte, wie beispielsweise die psychotherapeutische ambulante Versorgung im Rhein-Main-Gebiet, werden nicht berücksichtigt.

Die Psychotherapie ist ein unersetzlicher Teil der Krankenbehandlung im gesetzlichen Krankenversicherungssystem (GKV). Die DGPT- und VAKJP-Vertreter setzen sich in den Gremien der KV Hessen, dem Beratenden Fachausschuss Psychotherapie (BFA PSTH) und der Vertreterversammlung (VV), für die Inhalte, die Qualität und die Fachlichkeit der psychodynamischen Verfahren in der ambulanten Versorgung ein.

In den letzten Jahren haben Gesetzesreformen unsere klinische Arbeit und Praxisorganisation gravierend und nachhaltig verändert. Wir verstehen einige Neuerungen als störende Eingriffe mit entscheidenden und fachlich höchst problematischen Beschränkungen.

Die seit April 2017 in Kraft getretene Psychotherapierichtlinienreform hatte sich mehrere Ziele gesetzt, wie beispielsweise einen flexibleren Zugang zur Psychotherapie und verkürzte Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz. Nach über 2 ½ Jahren zeigt sich, dass die gesteckten Ziele der Reform nur bedingt erreicht wurden. Mit Errichtung der Terminservicestelle (TSS) bei der KV Hessen wurden Verpflichtungen mit restriktivem Charakter eingeführt wie beispielsweise eine telefonische Erreichbarkeitszeit anzubieten, die leider kaum genutzt wird. Wir müssen Termine für „Psychotherapeutische Sprechstunden“, „Akutbehandlung“ und „Probatorik“ an die TSS melden. Die Sprechstunde soll zwecks Diagnostik und Indikation genutzt werden, aber wie geht es dann für den Patienten nach einem solchen Erstkontakt weiter? Das Angebot einer „Akutbehandlung“ ist sicherlich sinnvoll, um PatientInnen unbürokratisch in einer schweren Krise zeitnah in Behandlung zu nehmen, um einer Chronifizierung der Symptomatik vorzubeugen, sofern es Behandlungskapazität gibt. Allerdings konterkariert die verpflichtende Meldung von „Probatorik“ den Inhalt der Passung – wer lässt sich behandeln, wo es kein Vertrauen und keine „Wellenlänge“ gibt? Die Reform birgt eine Dynamik, in der PatientInnen nur teilweise versorgt und teilweise hin- und hergeschickt werden, vor allem dann, wenn sie eine „Sprechstunde“ gemacht haben, aber der Kollege bzw. die Kollegin keinen Behandlungsplatz hat.

Mit den Neuerungen der Reform werden wir damit konfrontiert, dass bei Nicht-Bestätigung durch PatientInnen eines durch die TSS vermittelten Termins die blockierte und zur Verfügung gestellte Behandlungszeit ungenutzt bleibt und wir einen ökonomischen Verlust haben.

Nicht unerwähnt soll bleiben – das Kontingent der Kurzzeitpsychotherapie wurde um eine Sitzung gekürzt und erschwerend wurde es in zwei Abschnitte à 12 Sitzungen unterteilt, was jedes Mal eine Unterbrechung unserer Arbeit ist und eine veränderte Dynamik zur Folge hat.

Auch auf diesem Hintergrund werden Behandlungskonzepte als neue Versorgungsformen entwickelt und angeboten wie z. B. das NPPV-Projekt (KV Nordrhein). Das Projekt wird aus dem Innovationsfonds finanziert. Es ist ein Zusammenschluss von Neurologen, Psychiatern und Psychotherapeuten, die PatientInnen mit schweren chronisch psychischen und hirnorganischen Erkrankungen eine Komplexbehandlung anbieten. Wir sehen diese Form der Behandlungskonzepte und –modelle kritisch, die störungsspezifische Zuweisung entspricht nicht unserem Verständnis von Psychotherapie. Der seit Jahren bekannte Facharztmangel für Psychiatrie und Psychosomatik, spielt für die Entwicklung solcher Modelle sicherlich eine ausschlaggebende Rolle. Bedauerlicherweise geht die Fehlentwicklung in der ambulanten Versorgung zu Lasten der PatientInnen.

Das vor 2 Jahren initiierte Projekt „Blended Therapy“ wurde jetzt in „PREMA“ („eHealth gestütztes Case-Management für psychisch Erkrankte in der hausärztlichen Primärversorgung“) umbenannt, es soll ebenso aus dem Innovationsfonds finanziert werden. Es ist ein bis jetzt bundesweit einzigartiges Modellprojekt, das ausschließlich in hessischen Hausarztpraxen für 4 Jahre erprobt werden soll. Angepriesen als neues, innovatives und digital unterstütztes Behandlungsangebot  für HausärztInnen und deren Medizinische Fachangestellte, kombiniert es die Möglichkeiten der Face-to-Face-Therapie und einer Online-Therapie. Mit Hilfe digitaler Programme, onlinegestützter Fragebogen, psychologischer Testverfahren und Video-Übungsmaterialien sollen HausärztInnen psychische Beeinträchtigungen, vor allem Depressionen und Angststörungen, diagnostizieren können und eine online-Therapie einleiten. Wir haben uns aus mehreren Gründen vehement dagegen ausgesprochen. Diagnose und Behandlung gehören immer in die Hände qualifiziert ausgebildeter Psychotherapeuten.  Ob das Projekt angewendet wird, muss abgewartet werden.

Medien- und internetgestützte Online-Programme werden zu einer psychotherapeutischen Alternative hochstilisiert und sind in unserem Verständnis keine Psychotherapie. Psychotherapie via Medien entsprechen einem funktional-mechanistischem Modell, in dem der für unsere psychodynamische Arbeit wichtige szenische Kontext und das, was atmosphärisch mitschwingt, nicht zu erfassen ist. Erst kürzlich propagierte ein Vertreter einer großen Krankenkasse auf Bundesebene, dass Ärzte, er sprach von den somatischen Behandlern, mehr Videosprechstunden anbieten sollten. Videosprechstunden in der Psychotherapie könnten wir nur vereinzelt und in  Ausnahmefällen wie z. B. bei schwerer Krankheit, vertreten.

Summa summarum – die Ökonomie hat schon lange in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung Fuß gefasst und wird durch die Krankenkassen und das Bundesgesundheitsministerium forciert ohne Berücksichtigung einer fachlich und qualitativ angemessenen Versorgung.

Eine fundierte Diagnostik, Indikationsstellung und ein therapeutisches Beziehungsangebot, das immer eine face-to-face-Interaktion bzw. mit einem persönlichen Kontakt verbunden ist, sind für uns grundsätzliche Qualitätsmerkmale der Psychotherapie.